Wie recycelt man ganze Häuser? ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
                                                           
 
 
 
 
 
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
 
   

das nächste Mal, wenn du in einer der letzten verblieben blau-weißen 4020er S-Bahnen rund um Wien sitzt, sieh dir die Deckenpaneele einmal genauer an. In nicht allzu ferner Zukunft könnten sie die Fassade eines Hauses sein. Bestehende Betonfassaden verdienen oft auch einen zweiten Blick. Vielleicht findest du sie ja bald als Parkbank auf einer grünen Wiese.

Nicht nur Deckenplatten und Betonblöcke, auch Beichtstühle, Metallrohre oder Markisenhalterungen haben Potential für neue Einsatzmöglichkeiten. Andrea Kessler und Peter Kneidinger beschäftigen sich jeden Tag mit der Zukunft solcher Dinge. Mit ihrem Unternehmen namens Materialnomaden „ernten“ sie Bauteile aus abbruchsreifen Gebäuden und verpflanzen sie anderswo wieder. In der Fachsprache nennt man das Re-Use, Wiederverwendung. Ich habe die Hausrecycler diesen Monat bei ihrer Arbeit begleitet und mir angesehen, wie eine Kreislaufwirtschaft am Bau funktionieren könnte.

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Die Hausrecycler
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Um aber die Abzweigung zur Kreislaufwirtschaft zu nehmen, müssen wir aus unserer geradlinigen Wirtschaftsform ausscheren und so die Kurve kratzen, wie Kessler sagt. Und gerade die Bauwirtschaft ist eine der Branchen, die einen großen Beitrag dazu leisten können, das Steuer herumzureißen. Dreiviertel des gesamten Abfalls und mehr als die Hälfte des gesamten Ressourcenverbrauchs in Österreich gehen auf sie zurück.

Für Architekt:innen, Immobilienunternehmen und Bauarbeiter:innen bedeutet kreislauffähiges Bauen aber vor allem eines: mehr Aufwand. Und momentan oft auch Mehrkosten. Sie können nicht einfach nach Gutdünken planen, betonieren und wieder abreißen. Sie müssen mit dem Material arbeiten, das lokal verfügbar ist und sicherstellen, dass die Häuser am Ende ihres Lebens recyclebar sind. Neue Technologien können dabei behilflich sein, sind aber noch nicht breitenwirksam in der Praxis angekommen. Auch rechtliche Hürden stehen noch im Weg. Vieles läuft jedenfalls auf eine Frage hinaus: Ab wann wird Müll zu Müll?

Urban-Mining-Ansätze wie jener der Materialnomaden geben eine Antwort darauf: nie. Durch die Urban-Mining-Brille betrachtet ist die Stadt eine Schatztruhe voller Bauteile und Ressourcen, die nur darauf warten, ihren Einsatzort zu wechseln, sollte es denn nötig werden. Diese Geschichte hat mir auch deutlicher denn je vor Augen geführt, dass die Einschränkungen, die uns der Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft auferlegt, oft eine Frage der Perspektive sind. Die Materialnomaden verstehen sie jedenfalls als eine Aufforderung, kreativ zu werden.

 
 
 
Früher saßen Priester und Beichtende hinter den Holztüren, heute dienen die verstrebten Sichtfenster als Wandvertäfelung in einer Bar. - Foto: materialnomaden/Benedikt Novak
 
 
 
 
 
Auch in Australien und Thailand denkt man über die Zukunft der Baubranche nach und findet unkonventionelle Lösungen. Bevor wir aber zu den häuslichen Utopien kommen können, müssen wir einen Abstecher in die sandigen Abgründe der gegenwärtigen Bauwirtschaft in Sierra Leone machen.
 
 
 
 
 
 
 
 
SIERRA LEONE
Auf Sand gebaut
 
 
 
 
 
 
 
 
30 junge oberkörperfreie Männer in bunten Shorts schaufeln zwei Stunden lang Sand in einen Truck und lassen so den Strand Tag für Tag ein kleines bisschen mehr schrumpfen. Sie machen das, weil es schneller Geld bringt als die Fischerei und um ihre Familien zu ernähren, erklärt Samuel James, einer der 500 Schaufler an diesem kleinen Ort nahe der Hauptstadt Freetown. Die meist arbeitslosen jungen Sierra-Leoner stillen damit den steten Bedarf des boomenden lokalen Bausektors.

Denn Sand ist für die Baubranche, was Diesel für die Transportwirtschaft ist. Ohne Sand kein Beton, kein Asphalt, kein Glas. Fünfzig Milliarden Tonnen werden jährlich verbraucht, der Bedarf der endlichen Ressource hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Diese Reportage zeigt, wie ganzheitlich eine nachhaltige, kreislauforientierte Bauwirtschaft gedacht werden muss. Denn der Strom kommt nicht aus der Steckdose und Beton nicht aus der Mischmaschine.
 
 
 
 
ZU DIÁLOGO CHINO
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Im Ort von Samuel James hat das Strandschrumpfen auch große Auswirkungen auf das lokale Ökosystem. Fischbrutplätze gehen verloren, Häuser fallen nicht mehr abgepufferten Überschwemmungen zum Opfer, und die Regierung schaut weg. Cui bono? Diese Frage stellt sich Abdul Samba Brima, ein freier Journalist aus Sierra Leone, in diesem vom Pulitzer Center geförderten Podcast.
 
 
 
 
 
 
 
 
AUSTRALIEN
Häuser von dieser Erde
 
 
 
 
 
 
 
 
Häuser, die scheinbar aus dem Boden wachsen, mit mosaikartigen Glaselementen und so gut wie keiner einzigen geraden Linie – der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser wäre stolz auf das Design der sogenannten ›Earthships‹. Was außerirdisch klingt und tatsächlich auch so aussieht, ist doch von unserer Erde, und das sogar ziemlich wortwörtlich. Etwas sperrig als Erdschiff übersetzt, sind die mit Erde umhüllten Häuser dazu erdacht, den Bewohner:innen des von Buschfeuern geplagten australischen Outbacks ein sichereres Leben zu ermöglichen. Denn Erde ist nicht nur ein nachhaltiges, günstiges und lokal verfügbares Baumaterial, sondern auch feuerresistent.

In folgendem Artikel legt Martin Freney von der University of South Australia dar, wie weit nachhaltiger Hausbau gehen kann, denn die ›Earthships‹ sind auch komplett autonom von der allgemeinen Wasser- und Energieversorgung:
 
 
 
 
 
 
 
 
 
ZU THE CONVERSATION
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nicht nur Erde wird als Baumaterial immer wichtiger. In Uruguay versucht die Regierung gerade, die Bauwirtschaft dazu zu bewegen, mehr auf Holz als auf Beton zu setzen. Festgefahrene Traditionen, die Umschulung der Bauarbeiter:innen und veraltete Gesetze sind nur einige der Probleme, die wohl überall bei der Transformation auftauchen werden. Dabei könnten laut dieser Studie gerade Holzbauten bis 2100 rund hundert Gigatonnen CO2 einsparen.
 
 
 
 
 
 
 
 
THAILAND
Utopien zum Einziehen
 
 
 
 
 
 
 
 
Wiens Fassaden sind voller CO2-speichernder Algen, Ghanas Hauptstadt – wegen Überflutungen in den angrenzenden Wald verlegt – schwebt auf Bäumen hoch über dem Boden, und in Sao Paulo sind die Fußballstadien zur Spielwiese für Gärtner:innen geworden. Der Sozialwissenschaftler Alan Marshall von der Mahidol Universität hat sich zusammen mit Studierenden aus der ganzen Welt überlegt, wie unsere Städte im Jahr 2121 aussehen könnten, um sich an die Klimakrise anzupassen.

Hundert Städte, darunter auch Wuppertal und Graz, sind in dem Projekt Ecotopia 2121 vertreten. Jede Stadt hat neben einer Illustration auch eine kleine Geschichte beigestellt. National Geographic hat mit Marshall gesprochen.
 
 
 
 
ZU NATIONAL GEOGRAPHIC
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wenn ihr euch statt mit Zukunftsmusik lieber mit schon bestehenden ›Weltretter-Häusern‹ beschäftigt, dann ist dieser Artikel von CNN genau das richtige. Die Konstruktion auf der iranischen Insel Hormus mag zwar aussehen wie eine Sammlung bunter miteinander verbundener Ostereier, ist aber eine mit Cutting-edge-Technologie erbaute Siedlung. In dem Buch ›Houses That Can Save The World‹ finden sich noch 149 weitere solcher Projekte, darunter auch 3D-gedruckte Mondhäuser, ein schwimmendes Labor und Blumentopfwohnungen in Vietnam.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Breitengrade-Quiz
 
 
 
Auch global gesehen ist die Baubranche ein sehr ressourcenintensiver Wirtschaftsbereich. Wieviel Prozent der CO2-Emissionen macht sie weltweit aus?
 
 
 
 
A) 14 Prozent
B) 38 Prozent
C) 52 Prozent

Unter allen richtigen Antworten wird ein dreimonatiges DATUM-Abo verlost. Die Auflösung gibt es im nächsten Newsletter.

Auflösung aus #26: Im November letzten Jahres hatten wir A) 1.907 TJ Erdgas selbst produziert und 43.747 TJ importiert. Hatten also nur 4 Prozent unseres Gases aus Eigenproduktion gefördert. Glückwunsch an Moritz!
 
 
 
 
Vielen Dank für deine Unterstützung!
 
 
 
 
Zum Schluss nochmal ein großes Danke an dich, dass du DATUM Breitengrade abonnierst, liest und vielleicht sogar weiterempfiehlst. Ich hoffe, dass du dem Newsletter auch künftig als Leser:in erhalten bleibst.

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Vielen Dank! Die nächste Ausgabe erscheint am 16. Mai.

Herzliche Grüße
Paul Koren
 
 
 
 
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