Was das Urteil der Schweizer Klimaseniorinnen für die österreichische Klimaklage am EGMR bedeutet. ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌  ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
                                                           
 
 
 
 
 
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
 
   

warm, wärmer, heiß, heiß! Bonk! Drei Jahre lang haben sich die 17 Richter:innen der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die nur in richtungsweisenden Ausnahmefällen einberufen wird, an eine Entscheidung herangetastet. Anfang April haben sie dann ein historisches Urteil gefällt. Der Verein Klimaseniorinnen, bestehend aus rund 2.500 Schweizerinnen, hat Recht bekommen: Klimaschutz ist damit offiziell ein Menschenrecht! Denn die Richter:innen des EGMR haben die Schweiz für ihre unzureichende Klimapolitik abgemahnt, die Seniorinnen seien schon jetzt durch die sich häufenden Hitzewellen stark betroffen und in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben verletzt. Warm, wärmer, heiß, heiß. Zu heiß eben.

Für den Österreicher Mex M. haben die heißen Temperaturen noch drastischere Auswirkungen, nämlich komplettes Muskelversagen und Bewegungsunfähigkeit. Der Waldviertler leidet schon sein halbes Leben lang an Multipler Sklerose sowie – wie die Mehrheit aller MS-Patienten – dem Uhthoff-Syndrom: Je heißer es ist, desto schlechter geht es ihm. Er hat deshalb ebenfalls vor drei Jahren eine Klage am EGMR gegen den Staat Österreich eingereicht. In seiner niederösterreichischen Heimat hat er mir von seinem Leben mit der unheilbaren Autoimmunerkrankung und seiner Kerkermeisterin, der Klimakrise, erzählt.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wie man vom Rollstuhl aus die Welt verändert
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ab 25 Grad Außentemperatur wird die Verbindung zwischen Mex‘ Gehirn und seinen Muskeln so schlecht, dass er nicht mehr gehen kann. Mit einem Sommer, der – von der Klimakrise angeheizt – jedes Jahr länger und heißer wird, wächst auch die Zeitspanne, in der Mex tagsüber nicht das Haus verlassen kann. Bis sein Fall gehört wird, dauert es wahrscheinlich auch noch rund ein Jahr. Trotz allem habe ich Mex M. als sehr pragmatischen Menschen kennengelernt.

Auch seine Anwältin Michaela Krömer ist sicher keine Heißläuferin, trotzdem ärgert sie sich, dass Mex‘ Fall nicht eine der ersten drei vom EGMR gemeinsam entschiedenen Klimaklagen war. Die ›Klima-Grannys‹, wie Mex die Schweizer Seniorinnen nennt, haben ihm aber zumindest eine Tür aufgestoßen. Wie weit genau, wird sich zeigen. Mex M. wird am Gerichtshof jedenfalls ein weiteres Mal die Grenzen zwischen Menschenrechten und Klimakrise abklopfen.

 
 
 
Mex M. ist wegen seiner MS-Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen, wenn es draußen mehr als 25° C hat. - Foto: Paul Koren
 
 
 
 
 
Warm, wärmer, heiß, heiß wird es nicht nur in Österreich, sondern überall auf unserer Erde. Auch die Zahl der Klimaklagen steigt stetig. Im heutigen Newsletter beginnen wir in Indien, wo fast zeitgleich ein ähnlich historisches Urteil gefällt wurde, reisen über Peru nach Pakistan zu einer der ersten Klimaklagen im globalen Süden überhaupt, um neun Jahre später die Frage zu beantworten: ›Was hat’s gebracht?‹
 
 
 
 
 
 
 
 
INDIEN
Tiere schaffen Tatsachen
 
 
 
 
 
 
 
 
Die Hindutrappe ist nur ungefähr einen Meter hoch, hat einen schwarzen Schopf, einen langen weißen Hals und ein Gerichtsurteil mit historischer Spannweite verursacht, das sich aber mehr auf Menschen als auf Vögel auswirkt. Weil die Oberleitungen von Windparks im Durchzugsgebiet der bedrohten Vogelart häufig Exemplare gegrillt hatten, klagte ein Umweltaktivist am Obersten Gerichtshof Indiens deren Schutz ein. Ein erstes Urteil 2021 brachte eine recht niederschwellige Lösung: Die Hochspannungsleitungen sollten von nun an einfach unterirdisch verlegt werden.

Am 6. April hat der Gerichtshof sein Urteil revidiert. Fast beiläufig hielt er fest, dass ohne eine intakte ›vom Klimawandel unbeeinflusste Umwelt‹ das Recht auf Leben verletzt sei und der Staat eine Verpflichtung habe, seine Bürger:innen vor der Klimakrise zu schützen. Dieses Urteil könnte Klimaklagen in Indien einen Boost geben, denn neben den schon etablierten Umweltrechten schuf der Oberste Gerichtshof damit ein eigenes abgegrenztes Recht auf Schutz vor der Klimakrise.

Hier lest ihr eine ausführliche Einordnung des indischen Mediums Down to Earth.
 
 
 
 
ZU DOWN TO EARTH
 
 
 
 
 
 
 
 
PERU
Anti-Anti-Forestry
 
 
 
 
 
 
 
 
Seit diesem Januar ist Gesetz Nr. 31972, das sogenannte ›Anti-Forestry-Law‹, in Peru in Kraft. Indigenen Gruppen machen die Regelungen hinter diese fünf Zahlen mehr als nur Sorgen. Illegale Abholzung im Regenwald werden damit rückwirkend legal und die indigenen Besitzansprüche auf das Land ihrer Vorfahren abgeschwächt. Das Leben von zukünftigen Generationen sei damit gefährdet, sagt Julio Cusurichi, Führer des Shipibo Stammes. Marisol Garcia, die Führerin des Volkes der Quechua, geht sogar noch weiter: ›Mit diesem Gesetz wollen sie uns umbringen.‹ Die Reform lässt die indigene Bevölkerung des peruanischen Amazonas ohne Rechtssicherheit zurück, sagen Kritiker. Mongabay hat die Stimmung zum ›Anti-Forestry-Law‹ in diesem Artikel eingefangen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
ZU MONGABAY
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Mehrere Bundesländer von Peru und zivilgesellschaftliche Organisationen klagen nun, das ›Anti-Forestry-Law‹ sei verfassungswidrig, lautet ihr Argument. Der peruanische Verfassungsgerichtshof hat sich nun einer dieser Beschwerden angenommen.
 
 
 
 
 
 
 
 
PAKISTAN
Legharis Leitstern
 
 
 
 
 
 
 
 
Es waren nicht die verdorrten Ernten seiner Familie, dahingerafft von Hitze und Dürre, die Asghar Leghari 2015 dazu bewegt hatten, sein Land zu klagen. Der Anwalt hatte vielmehr die Untätigkeit seiner Regierung satt. Pakistan, das besonders stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen ist, hatte damals bereits einen ersten Klimamaßnahmenplan bis 2030 vorgelegt, aber den Worten nie Taten folgen lassen. Als Leghari dann tatsächlich vor Gericht zog, ging alles sehr schnell. Nach drei Monaten war bereits ein Urteil gefällt. Leghari gewann, sein Recht auf Leben nach der Pakistaner Verfassung sei verletzt worden, hielt das Gericht fest.

Auch eine Klimawandel-Kommission wurde eingesetzt, um den Politiker:innen in Zukunft auf die Finger zu schauen. Der Erfolg der Klage sei ein Mix aus harter Arbeit, viel Glück und einem dem Thema gegenüber aufgeschlossenen Richter gewesen, sagt Leghari neun Jahre später, ›Aber meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass juristische Interventionen nicht reichen.‹ Als 2018 die Kommission aufgelöst und der Richter versetzt wurde, änderte sich alles wieder. Was genau, lest ihr bei The Wave, einem Newsletter über Klimaklagen.
 
 
 
 
ZU THE WAVE
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Laut dieser Studie des Londoner King’s College war Legharis Fall jedenfalls ein ›Leitstern‹ für Klimaklagen, einer der wenigen, die auch Aufmerksamkeit aus dem globalen Norden auf sich zogen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Breitengrade-Quiz
 
 
 
Innerhalb der letzten neun Jahre vervierfachte sich die Zahl der Klimaklagen laut der London School of Economics, dem Grantham Research Institute und der Datenbank des Sabin Center of Climate Litigation.
Wie viele Klimaklagen gab es also bisher insgesamt global? (Stand 15.5.2024)
 
 
 
 
A) 1331
B) 5324
C) 2662

Unter allen richtigen Antworten wird ein dreimonatiges DATUM-Abo verlost. Die Auflösung gibt es im nächsten Newsletter.

Auflösung aus #27: Der Bausektor macht global gesehen laut diesem UN-Report B) 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Glückwunsch an Maria!
 
 
 
 
Vielen Dank für deine Unterstützung!
 
 
 
 
Zum Schluss nochmal ein großes Danke an dich, dass du DATUM Breitengrade abonnierst, liest und vielleicht sogar weiterempfiehlst. Ich hoffe, dass du dem Newsletter auch künftig als Leser:in erhalten bleibst.

A propos Weiterempfehlen: Wenn du diesem Newsletter-Projekt ein wenig helfen möchtest, kannst du das in nur zehn Sekunden tun. Diese Empfehlungs-Mail kannst du hier direkt an deine Freund:innen abschicken.

Vielen Dank! Die nächste Ausgabe erscheint am 20. Juni.

Herzliche Grüße
Paul Koren
 
 
 
 
ABO · Impressum & Disclaimer · Datenschutz · Newsletterprofil aktualisieren · Abmelden
 
 
 
 


(c) Satzbau Verlags GmbH