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Liebe Leserinnen, liebe Leser!


machen wir, bevor wir uns spannenden Geschäftsordnungsfragen widmen, einen kurzen Abstecher nach Vösendorf: Nachdem der dortige Bürgermeister private Anwaltskosten, die ihm wegen eines Tweets gegen die SPÖ-Kinderfreunde entstanden waren, als „Beratungskosten“ für die örtliche Feuerwehr getarnt der Gemeinde umgehängt hatte, hat seine Partei, die ÖVP, dort Neuwahlen erzwungen – und zwar über einen Trick mit der NÖ Gemeindeordnung: Wenn ein Drittel der Sitze im Gemeinderat nicht besetzt werden können, ist dieser nicht beschlussfähig – er wird aufgelöst und neu gewählt.
 
 
 
 
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Diese Neuwahl hat nun am Sonntag stattgefunden – und der ÖVP, die bisher nur zwölf von 29 Mandaten hielt, eine absolute Mehrheit beschert. Ich will das für sich gar nicht weiter kommentieren – die Fakten sprechen für sich und mein Wissen über die Vösendorfer Kommunalpolitik ist recht überschaubar –, aber merken wir uns für den Moment: Hier hat eine Fraktion durch gesetzeskonforme Sabotage den demokratischen Prozess monatelang lahmgelegt – und ist vom Wähler belohnt worden.

Malen wir den Teufel an die Wand
Schlagen wir an diesem Punkt eine Brücke vom Schloss Vösendorf ins Luftlinie keine zehn Kilometer entfernte Parlament und malen wir den Teufel an die Wand. Nehmen wir an, bei einer Nationalratswahl wird eine Partei stärkste Kraft, die es geradezu darauf anlegt, den demokratischen Prozess zu stören. Geht es nach den „Usancen“ des Hohen Hauses, bekommt diese Partei mit dem Amt des Nationalratspräsidenten (er steht traditionell dem größten Klub zu) ein Instrument, das an Störkraft kaum zu überbieten ist. (Details dazu finden Sie im aktuellen DATUM, das ich Ihnen sehr ans Herz legen möchte.) 

Denn der Präsident ist in fast allen Belangen ein absoluter Herrscher: Er lässt Abgeordnete sprechen und Anträge stellen, er entscheidet, wann abgestimmt wird – und wenn er nicht eine Sitzung einberuft, findet schlicht keine statt. Dazu kommt: Im Gegensatz zu praktisch allen anderen Ämtern in der Republik gibt es keine Möglichkeit, den – zu Beginn der Legislaturperiode mit einfacher Mehrheit gewählten – Nationalratspräsidenten abzuwählen. 

In einem Szenario, in dem die stärkste Partei zwar den Präsidenten, aber nicht die Regierung stellt – das gab es schon von 2000 bis 2002, als Heinz Fischer gegenüber der blau-schwarzen Regierung Nationalratspräsident war, damals funktionierte das angesichts integrer Akteure anstandslos –, könnte eine destruktive Persönlichkeit im Rahmen der Gesetze praktisch die gesamte Gesetzgebung lahmlegen. 

Eine „nukleare Option“ ungewissen Ausgangs
Das einzige Korrektiv für einen solchen Präsidenten wäre der Bundespräsident, der auf Vorschlag der Regierung den Nationalrat auflösen und eine Neuwahl ansetzen könnte – eine „nukleare Option“ ungewissen Ausgangs, würde ich mit Blick nach Vösendorf sagen.

Eine Republik, die ihre demokratischen Prozesse absichern und resilient sein möchte, sollte sich gegen solchen Missbrauch absichern und sich nicht darauf verlassen, dass nur integre, verantwortungsvolle Persönlichkeiten Nationalratspräsident werden können. Der Weg dazu wäre eine überschaubare Verfassungs- und Geschäftsordnungsreform, die mit der nächsten Legislaturperiode in Kraft tritt.

Darin sollte einerseits eine Abwahlmöglichkeit enthalten sein – mit einer qualifizierten Mehrheit, um das Amt gegen Launen der Tagespolitik abzusichern. Dem Gegenargument, dass allein die Möglichkeit der Abwahl den Präsidenten in die Parteipolitik hineinziehen würde, muss man entgegenhalten, dass er dort ohnehin längst angekommen ist – wie die Auseinandersetzungen mit und über Wolfgang Sobotka in den vergangenen Jahren zeigen.

Andererseits sollten parlamentarische Gepflogenheiten aus den vergangenen Jahrzehnten festgeschrieben und so abgesichert werden. So könnte das Präsidium manche Aufgaben (etwa die Einberufung von Sitzungen) gemeinsam übernehmen oder die Präsidialkonferenz echte Mitsprache bekommen statt nur beratende Stimmen. 

Denn – da hat Alfred Noll recht – gute Geschäftsordnungen sind nur so lange langweilig, bis einmal der „worst case“ eintritt, in dem man sie wirklich brauchen würde.

Herzlich,
Ihr Georg Renner
 
 
 
 
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