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Liebe Leserinnen, liebe Leser!


das vergangene Wochenende hat für mich ein Wechselbad politischer Gefühle bereitgehalten: Plötzlich sah ich mich geneigt, August Wöginger zuzustimmen – und dann auch wieder nicht. 

Aber von vorn: Der türkise Klubobmann hat, zumindest in meinen Social-Timelines, reichlich Spott für einen sehr schönen Satz geerntet, den er in einem Interview mit der Presse am Sonntag gesagt hat. Auf die Frage, warum die ÖVP so unbeliebt sei, obwohl die Regierung mehr Geld ausgegeben habe als jede vor ihr, antwortete Wöginger: „Ich glaube, wir haben so viel gemacht, dass die Menschen es gar nicht mehr fassen können.“

Das klingt, so isoliert betrachtet, natürlich lustig, ähnlich dem tirolerischen „Was haben denn die Leute, wir haben eh alles richtig gemacht“, als es noch sowas wie Maßnahmen gegen die Pandemie gab. Ich glaube aber, ganz unironisch, dass Wöginger im Grunde einen Punkt hat. Und zwar zumindest zum Teil aus eigener Erfahrung. 

Zum Blob verschwommen
Ich halte mich schon von Berufs wegen für einen halbwegs gut informierten Bürger, was Politik und Verwaltung angeht. Trotzdem habe ich relativ lang nach Spuren eines Scams gesucht, als mich vor ein paar Wochen eine eher formlose Mail von einer Finanzministeriums-Adresse mit dem Titel „Antrag auf Stromkostenergänzungszuschuss“ erreichte, gezeichnet „Mit freundlichen Grüßen, Ihre Bundesregierung“. Ich hatte aus dem Stand keine Ahnung, was das ist und warum mir da jetzt plötzlich Geld zustünde*.
 
 
 
 
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Ich habe jetzt keine harten Fakten bei der Hand, ob und wie detailliert sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger an die Wohltaten der Regierung(en) seit 2020 erinnern. Aber wenn man sich allein die breit gestreuten Krisen-Maßnahmen der türkis-grünen Koalition seit Beginn der Pandemie anschaut, würde es mich nicht überraschen, wenn das alles bei den meisten Menschen in einem großen „ein bisserl was hat jeder bekommen“-Blob verschwimmt. 

Der Budgetdienst des Parlaments hat 33 Entlastungsmaßnahmen von diversen Kinder- und Familienboni über Energiegutscheine und -kostenbremsen bis zur Abschaffung der Kalten Progression in einer Analyse im September detailliert aufgeschlüsselt – und da sind Partikularhilfen wie die Kurzarbeit oder die allgemeine Stromkostenbremse noch gar nicht mitgerechnet. Und dann gab es noch zahlreiche Hilfen der Bundesländer, die sich – wie der niederösterreichische „Strompreisrabatt“ – zum Teil auch noch mit den Bundeshilfen überschnitten haben.


Der Staat als Bankomat
Ich vermute also, erstens, dass Wöginger Recht hat: Es waren wirklich unfassbar viele unterschiedliche Hilfen, kein Mensch überblickt das mehr einfach so. Das würde ich der Regierung auch nicht vorwerfen: Viele dieser Instrumente hat man „aus dem Stand“ ersonnen, im Unklaren darüber, wie lange die Krise dauern wird und wie oft man sie brauchen wird. Dass da unterschiedliche Ansätze und manch leere Meter herauskommen, ist nachvollziehbar. Dass viele Maßnahmen inzwischen antragslos erledigt werden – der Klima-/Antiteuerungsbonus oder die erhöhten Familienbeihilfen zum Beispiel, spielt dabei sicher mit: Wer ohne jede amtliche Interaktion einfach Geld überwiesen bekommt, für den ist der Staat halt nur eine Buchungszeile unter vielen. 


Zweitens: Was es aber von Anfang an gebraucht hätte – und die offene Diskussion darüber ist bis heute ausständig –, wäre die ehrliche Erklärung, wem was ausgeglichen werden soll. Sollten Pandemie- und Teuerungshilfen alle im Staat gleichermaßen vor diesen Weltkrisen schützen? Ging es um Hilfen für besonders Bedürftige? Was wir – ebenfalls aus Budgetdienstanalysen – wissen: In der Gesamtheit sind die Maßnahmen heuer vor allem Menschen in den unteren Einkommenskategorien zugutegekommen, die mittleren und oberen Einkommenslevel haben 2023 gegenüber 2019 an real verfügbarem Einkommen eingebüßt. War das das Ziel der ÖVP? 


Und damit kommen wir, drittens, zu jenem Punkt, an dem ich glaube, dass Wöginger irrt: Selbst wenn die Regierung Anfang 2020 eine einheitliche, transparente Hilfschiene aufgesetzt und diese nie verlassen hätte – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie mit denselben (schlechten) Zustimmungswerten zu kämpfen hätte wie jetzt. Einerseits sind Regierungen auf der ganzen Welt gerade nur mäßig beliebt, Krisenopfer gewissermaßen. Und vor allem haben Staat und Staatsführung mehr als ein Bankomat für die Bevölkerung zu sein. 


Wer jetzt sagt, wir sind eh super, die Leute merken es nur nicht, sollte die ruhigen Wochen um den Jahreswechsel zur Einkehr nutzen – und die Frage stellen, welches Angebot er 2024 den Wählerinnen und Wählern machen kann, außer: „Wir haben euch doch eh halbwegs durch die Krise gebracht.“


Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Start ins Wahljahr. Wir lesen einander an dieser Stelle am 2. Jänner wieder.

Herzlich,
Ihr Georg Renner


*Die Mail war übrigens echt: Der Stromkostenergänzungszuschuss ist quasi ein Upgrade zur Stromkostenbremse für Haushalte mit mehr als drei Personen, heißt und funktioniert aber ganz anders als die Bremse, nämlich als eigens zu beantragender Fixbetrag. Details finden Sie hier.

 
 
 
 
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