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Liebe Leserinnen, liebe Leser!


Gleich hinter meinem Haus – keine Sorge, es wird gleich wieder politisch – fließt die Traisen. Ursprünglich war das – wenn Sie im niederösterreichischen Landesarchiv vorbeischauen, können Sie das auf alten Karten sehen – ein hunderte Meter breites, weit verzweigtes Gewässersystem, geprägt von dauernden Überschwemmungen, wechselnden Insel- und Aulandschaften. Ende des 19. Jahrhunderts hat man dann begonnen, die Traisen, wie viele Flüsse in Österreich, zu regulieren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Traisen schließlich spießgerade, zwischen Dämmen, Buhnen- und Wehranlagen mehr ein Kanal als ein Fluss.

Nach mehreren verheerenden Hochwässern um die Jahrtausendwende haben sich das Land Niederösterreich und die umliegenden Gemeinden entschlossen, die Traisen streckenweise zurückzubauen, also sie näher an ihren natürlichen Urzustand zu rücken. Das Flussbett hat man in umfangreichen Bauarbeiten verbreitert, Staumauern abgerissen, tote Bäume am Ufer befestigt, Inseln und Schotterbänke angelegt. Zweck war einerseits, dem Wasser mehr Raum zu geben, aber auf der anderen Seite – unter Einbindung von Wissenschaftlern der Boku – auch, Lebensraum für die Natur wiederherzustellen. Heute brüten in diesen renaturierten Nischen unterschiedlichste Vögel, es gibt mehr Fische und Frösche als früher.

Bürokratische Zielsetzung
Es sind diese Arbeiten, an die ich bei der Diskussion um das EU-„Renaturierungsgesetz“ denken muss. Österreich sollte im EU-Rat für die Verordnung stimmen. Und zwar gerade obwohl die Republik in Sachen Renaturierung schon viel leistet – bei Flüssen, bei der Umstellung von konventioneller auf Bio-Landwirtschaft, bei der Diversifizierung von Wäldern und so weiter.
 
 
 
 
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Deklinieren wir das durch: Wenn man sich den Kompromiss des „Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on nature restoration“ durchliest, auf den sich Vertreter des Parlaments und der Mitgliedstaaten im vergangenen November geeinigt haben – hier der ganze Text –, sieht man, dass es sich im Großen und Ganzen um eine bürokratische Zielsetzung handelt: Bis 2050 sollen stufenweise für 90 Prozent aller natürlichen Lebensräume – mit Ausnahmen für Infrastruktur, Stromerzeugung oder Ernährungssicherheit – Pläne in Gang gesetzt werden, sie wieder in ökologisch guten Zustand zu bringen. Dazu sollen die Mitgliedstaaten erstens die Flächen einheitlich katalogisieren, zweitens Pläne vorlegen, wie sie das erreichen wollen und, drittens, regelmäßige Berichte an die Kommission abliefern, wie weit sie entlang dieser Pläne sind.

Wenn wir einmal voraussetzen, dass der Schutz der Artenvielfalt eine Aufgabe des Staates ist, stellt sich die Frage: Muss das die EU regeln oder könnten das die Mitgliedstaaten und/oder Länder auch selbst? Ich tendiere dazu, dass es gescheit ist, sich auf Ebene der Union Ziele setzen und deren Einhaltung zu überwachen – Biodiversität ist kurzfristig eine Investition, der kein unmittelbarer Ertrag gegenübersteht. Um zu verhindern, dass sich die Mitgliedstaaten hier in einem „race to the bottom“ unterbieten, weniger investieren und regulieren zu müssen, scheint es mir sinnvoll, das einheitlich zu regeln. Wie sie die Ziele erreichen – im Verordnungstext sind viele unterschiedliche Methoden enthalten, von Aufforstung über Umstellung auf Bio-Landwirtschaft bis hin zur Wiederbewässerung von Mooren und Feuchtwiesen – ist dagegen den Staaten überlassen.

Ja, das würde in den nächsten Jahren viel bürokratischen Aufwand (vor allem in der Verwaltung) bedeuten. Und ja, das wird Konflikte mit sich bringen, welche Flächen wann wie renaturiert werden und wo das Geld dafür herkommen soll (schau nach beim noch immer nicht finalisierten Klimaplan). Aber ein einheitlicher Zeitplan und Methoden, die vergleichbar machen, wie weit welche Staaten auf diesem wichtigen Weg sind, sind das allemal wert.

Konsens, keine Alleingänge
Was uns zu der innerstaatlichen Debatte bringt: Umweltministerin Leonore Gewessler, ist an sich für die Verordnung; aber die Länder hatten ihr in einer einstimmigen Stellungnahme untersagt, im EU-Rat dafür zu stimmen. In den letzten Tagen haben Wien und Kärnten angedeutet, von dieser Linie auszuscheren, jetzt stellen sich zwei Fragen (für Interessierte hat Kollege Werner von den VN alle Details): Ob das eindeutig genug ist, dass nun kein Länder-Veto mehr vorliegt (das nur gilt, wenn alle neun sich darauf verständigen) – und ob Gewessler auch ohne Zustimmung der ÖVP-Regierungsmitglieder im Rat für die Verordnung stimmen darf. 

Erstens ist es absurd, dass solche ziemlich zentralen Fragen überhaupt offen sein können. Das Parlament sollte sich schleunigst daran machen, einerseits die Kompetenzen und Geschäftsordnung der Landeshauptleute-Konferenz in der Bundesverfassung zu kodifizieren, andererseits im Ministeriengesetz präzise Regeln für Minister einführen, die im EU-Rat zur Abstimmung über Materien berufen sind, die über ihr Ressort hinauswirken. So etwas sollte nicht von Laune und Ad-hoc-Interessen einzelner Amtsträger abhängen.

Zweitens sollten Gewessler und ihre angeblichen Unterstützer in den Ländern jetzt mit ihren türkisen Gegenübern verhandeln, um diese doch noch an Bord zu holen. Für einen Alleingang politisches Porzellan zu zerschlagen – auch wenn es um existenzielle Fragen wie die Artenvielfalt geht – wäre schon im Hinblick auf die nächsten Legislaturperioden unklug, in denen dann vielleicht andere die Regelung mit Leben füllen sollen. 

Und drittens sollten sich die ÖVP-Vertreter einen Ruck geben und der Verordnung zustimmen. Ja, die Regelung ist ein Kompromiss – aber in Verantwortung für die kommenden Generationen ein durchaus tragbarer.

Herzlich,
Ihr Georg Renner
 
 
 
 
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