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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Susanne Götze

SPIEGEL-Klimabericht Die besten Klimaziele der Welt hat Finnland – wirklich?

Susanne Götze
Von Susanne Götze, Redakteurin Wissenschaft
Finnland will nicht nur klimaneutral werden, sondern bis 2040 CO₂-negativ. Klingt rekordverdächtig. Es gibt aber einen Haken. Der könnte nicht nur für die Finnen zum Problem werden. Der Wochenüberblick zur Klimakrise.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in der Klimapolitik wird gern viel versprochen, oft bewegt sich dann aber nur wenig. Davon berichten wir in unserem Newsletter an dieser Stelle öfter. Von den vielen Ankündigungen der Länder und Unternehmen kann einem ganz schwindlig werden. Eigentlich läuft es doch super, könnte man denken: Alle wollen grün sein – und vor allem klimaneutral. Viele meinen es sicher auch ernst – doch es bleiben immer zwei entscheidende Fragen: Ist das Ziel mit den angekündigten Maßnahmen zu erreichen? Und wie wurde gerechnet?

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Danach sollte man auch die neuen – sehr erfreulichen – Klimaziele von Finnland bewerten. Einige Medien priesen diese sogar als die »ambitioniertesten Klimaziele der Welt«. Bereits am 25. Mai stimmte das finnische Parlament dem neuen Klimagesetz der Regierung unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin zu – mit einer Mehrheit von 121 gegen 41 Stimmen. Darin verpflichtet sich das Land, bis 2035 klimaneutral zu werden – so früh wie kein anderes Industrieland. Bis 2040 will das Land sogar CO₂-negativ werden – also der Atmosphäre netto CO₂ entziehen. Ein paar Entwicklungsländer haben ähnlich ehrgeizige Ziele.

Dass die Finnen sich nun zum Vorreiter machen, hat auch etwas mit dem vergangenen Wahlkampf zu tun – und der recht jungen Ministerpräsidentin. Sanna Marin (36) räumt dem Klimathema Priorität ein. Dass sie es ernst meint, nimmt man ihr ab – jedenfalls wählten viele Finnen sie 2019 auch deshalb. Doch wie genau will Finnland es so schnell schaffen, klimaneutral zu werden?

Blick auf Helsinki: Drei Viertel der Landfläche Finnlands bestehen aus Wald

Blick auf Helsinki: Drei Viertel der Landfläche Finnlands bestehen aus Wald

Foto: Miemo Penttinen / Getty Images

Bei genauerem Hinsehen wirkt das Ziel nicht mal außergewöhnlich. Denn die reinen Emissionssenkungen, etwa in der Energieversorgung oder beim Verkehr, fallen mit nur 60 Prozent bis 2030 niedriger als in Deutschland aus. Die Bundesregierung will in ihrem Klimagesetz minus 65 Prozent gegenüber 1990 schaffen.

Finnland hat es beim  Emissionen-Sparen sogar noch etwas einfacher, weil es weiterhin auf Atomkraft setzt und viel Strom mit Wasserkraft erzeugt. Doch beim Heizen, im Verkehr und auch in der Industrie – besonders bei der dreckigen Papierherstellung – muss einiges passieren.

Womit wir schon beim Haken wären: Klimaneutral rechnen will sich die finnische Regierung ihre Ziele vor allem mit dem Wald.

Der Poker mit den Klimasenken

Denn davon hat das kleine Land genug: Drei Viertel der finnischen Landfläche von Helsinki bis zum Polarkreis sind bewaldet. Die Bevölkerung ist mit 5,5 Millionen Menschen klein – es sind gerade mal 16 Menschen pro Quadratkilometer (in Deutschland: 230). Es liegt nahe, diese riesige Kohlenstoffsenke auszunutzen: Die Bäume ziehen CO₂ aus der Atmosphäre und können damit Emissionen in anderen Bereichen ausgleichen. Laut der Regierung haben die finnischen Wälder allein 2020 etwa 17 Millionen Tonnen CO₂ aufgenommen. Der Wald sei »entscheidend für das Erreichen der CO₂-Neutralität«, heißt es in dem Gesetz .

Da die gesamten finnischen Emissionen derzeit bei rund 50 Millionen Tonnen liegen, wäre das ein erheblicher Anteil, den die Finnen gratis in ihre Treibhausgasrechnungen einbauen.

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Fotos [M]: Getty Images (6); Julia Steinigeweg

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So schön, so gut die Theorie. Doch nette Rechnungen machen eben noch lange keinen Klimaschutz. Einen Tag bevor das Klimagesetz durchs Parlament ging, veröffentlichte Statistics Finland neue Emissionszahlen  für das vergangene Jahr. Erstmals war der Landnutzungssektor – dazu gehören etwa Moore, Landwirtschaft und Wälder – eine netto Emissionsquelle – er gab also mehr Emissionen in die Atmosphäre ab, als er dieser entzog. Grund dafür waren die Wälder, die weniger aufnahmen als in vorigen Jahren und so die Emissionen etwa aus der Landwirtschaft nicht mehr ausgleichen konnten.

Die finnische Holzwirtschaft hatte laut dem Bericht zu viel Holz eingeschlagen und schlicht zu wenig nachgepflanzt. Die Nachfrage nach Holz ist groß – etwa für die Papierherstellung oder zur Energiegewinnung. Mittlerweile wird Holz sogar in der Baubranche immer wichtiger – auch als klimafreundlicher Ersatz für Beton.

Das zeigt, wie schnell gut gemeinte Klimazielberechnungen in sich zusammenfallen können. Das gibt sogar die finnische Regierung selbst indirekt zu. So heißt es im Klimagesetz, dass es bei den Wäldern zu »starken Schwankungen« bei den jährlich aufgenommenen CO₂-Emissionen kommt.

Auch Deutschland rechnet mit zu hohen Waldsenken

Doch nicht nur Finnland hat das Problem mit den Wäldern als Garant für Klimaneutralität. Auch Deutschland könnte seine Senken überschätzen, warnen Experten seit ein paar Jahren. Hierzulande veranschlagt das im August 2021 verabschiedete Klimagesetz  immerhin minus 25 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente, die vor allem durch den Wald (und eventuell auch Moore) eingespart werden sollen, bis 2040 sollen es schon minus 35 Millionen sein. Dass es hier nicht um Nebensächlichkeiten geht, zeigt der Vergleich mit dem innerdeutschen Flugverkehr, der mit zwei Millionen Tonnen zu Buche schlägt. Jede Tonne, die der Wald weniger aufnimmt, muss für ein Klimaneutralitätsziel theoretisch woanders eingespart werden.

Waldsterben in Deutschland – hier bei Arnsberg in Nordrhein-Westfalen

Waldsterben in Deutschland – hier bei Arnsberg in Nordrhein-Westfalen

Foto: Jochen Tack / imago images

Doch angesichts der kranken deutschen Wälder , anhaltender Dürren und Borkenkäferplagen könnte auch die deutsche Klimarechnung nicht aufgehen, meint etwa Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme. Selbst wenn schnell nachgepflanzt werde, bräuchten die Bäumchen bis zu 20 Jahre, um zu einem relevanten CO₂-Speicher zu werden. Junge Bäume nehmen viel weniger CO₂ auf als ältere.

Noch dramatischer ist das in Brasilien. Das Land mit dem größten Regenwald der Erde pokert auf Uno-Klimakonferenzen gern mit seiner »grünen Lunge«. Doch Forscher errechneten im vergangenen Jahr, dass die Grünflächen in Südamerika – deren größter Teil auf dem Staatsgebiet von Brasilien liegt – in den letzten zehn Jahren rund 20 Prozent mehr CO₂ in die Atmosphäre freigesetzt haben, als sie aufnahmen. Schuld daran war nicht nur die reine Vernichtung des Waldes durch Abholzung oder Brandrodung, sondern auch eine Schwächung der Waldstruktur, vermehrte Dürren und Baumkrankheiten, so die Studienautorinnen.

Diese Beispiele zeigen, dass Klimarechnungen mit Ökosystemen unscharf sind. Die potenziellen CO₂-Einsparungen sind durch Abholzung, Dürren oder Waldbrände schlicht unvorhersehbar. Deshalb sind alle Klimaziele, die einen recht hohen Teil mit diesem Ökosystem kompensieren wollen, nicht wirklich ernst zu nehmen. Auch wenn sie – wie im Falle Finnlands – vielleicht den positiven Effekt haben, dass die Regierungen sich für massive Aufforstung oder den Schutz von Wäldern entscheiden.

Wie immer lohnt es sich also, genau hinzuschauen – und erst dann die Klima-Champions auszurufen.

Wald und Moore können große Klimasenken sein - aber sie können auch schnell zu Emissionsquellen werden

Wald und Moore können große Klimasenken sein - aber sie können auch schnell zu Emissionsquellen werden

Foto: imago stock / imago images/blickwinkel

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