Eine Arche für Korallen

Steigende Meerestemperaturen vernichten Korallenriffe. Der malaysische Korallenforscher Affendi Yang Amri versucht sie zu retten. Dabei setzt er auf Seeigel, schwebende Korallenbäume oder Netze, die UV-Strahlen abwehren.

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Übersetzung und Adaption:
Manuel Kronenberg & Katharina Brunner
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Fotografie:
KL Chew

Der Korallenriff-Ökologe Affendi Yang Amri hat die meiste Zeit seiner 27-jährigen Karriere eine Idee vehement abgelehnt: Korallen zu erneuern. Konzentriere man sich zu stark auf Restaurierung und Rehabilitation, könne das die Zerstörung an den Küsten verstärken, befürchtete er. Denn Opportunistinnen und Opportunisten könnten behaupten, es wäre nicht nötig, Korallen zu schützen, wenn man sie später doch ohnehin wiederbeleben könne. Affendi zog es darum lange vor, die gesunden vorhandenen Korallen zu beschützen, anstatt bereits beschädigte Korallen zu reparieren.

Doch dann, im Oktober 2018, nach 27 Jahren als Wissenschaftler, änderte er seine  Haltung. Damals warnte der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) vor dem drohenden weltweiten Korallensterben: Sollte die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad Celsius steigen, würden bis zu 90 Prozent der tropischen Korallenriffe verenden.

Da Affendi bei seiner Arbeit bereits immer mehr hohle Korallenschalen und verlassene Riffe gesehen hatte, als den IPCC-Bericht las, war er so erschüttert, dass er seine langjährige Überzeugung über Bord warf. Er tauchte in eine Arbeit ein, die er eigentlich niemals machen wollte.

„Ich musste erkennen, dass die Wiederbelebung von Korallen eine der wenigen Möglichkeiten ist, unsere Riffe zu retten. Wenn wir uns nicht zusammenreißen und den besten Weg finden, welche Chance haben unsere Riffe dann noch?“, sagt er. Der Wissenschaftler führt mit seinem Team an der Universität in Kuala Lumpur Experimente durch, um die besten Methoden für die Restaurierung von Korallen zu entwickeln.

An den Küsten Malaysias sind Korallen besonders vielfältig. Mindestens 584 Arten von Steinkorallen leben dort. Zum Vergleich: Im hundert Mal so großen australischen Great Barrier Reef leben 410 verschiedene Korallenarten. Neunzig Prozent der malaysischen Korallen sind vor der nördlichen und östlichen Küste Sabahs zu finden, im sogenannten Korallendreieck – das Gebiet mit der größten marinen Artenvielfalt der Welt.

Wie Regenwälder am Land beherbergen und ernähren Korallenriffe viele verschiedene Lebewesen wie Garnelen, Fische und Meeresschildkröten. Laut der globalen Datenbank FishBase wurden allein in den malaysischen Riffen 826 Arten von Rifffischen gezählt. Gesunde Korallenriffe sind so nicht nur Lebensgrundlage für zahlreiche Meeresbewohner, sondern kommen auch dem Tourismus und der Fischerei zugute. Der Lebensunterhalt für die Bevölkerung von Küstengemeinden hängt oft von ihnen ab. So schätzt eine Studie des UN-Umweltprogramms (UNEP) die wirtschaftlichen Erträge des gesamten Korallendreiecks im Jahr 2017 auf 14,5 Milliarden US-Dollar. Tourismus und kommerzielle Fischerei waren die Haupteinnahmequellen. Im Gegensatz dazu würde ein zerstörtes Korallendreieck im Vergleich zu einem gesunden Korallendreieck bis 2030 6,5 Milliarden US-Dollar weniger an Erträgen bringen.

 Korallenriffe und alle von ihnen abhängigen Lebewesen sind durch die Klimakrise und die Erwärmung der Meere stark bedroht. Ein großer Teil der menschengemachten Erderhitzung wird bislang von den Ozeanen absorbiert. Das ist für Korallen katastrophal, denn sie reagieren auf Temperaturveränderungen sehr sensibel. Schon ein Anstieg von ein bis zwei Grad Celsius im Wasser, das Korallen umgibt, kann dazu führen, dass sie ausbleichen, verhungern und sterben.

Wie der Korallenforscher James Tan Chun Hong von der Universität Malaysia Terengganu erklärt, erhalten Korallen viele ihrer Nährstoffe – und all ihre leuchtenden Farben – von den Algen, die im Inneren ihres Gewebes leben. Algen und Korallen schützen und ernähren sich gegenseitig. Erwärmt sich aber das Wasser, stoßen die Korallen die Algen ab. Eine weithin akzeptierte – wenn auch noch nicht eindeutig bewiesene – Erklärung ist, dass die Hitze die Algen dazu bringt, eine Flut von schädlichen Nebenprodukten freizusetzen. Um sich zu retten, stoßen die Korallen ihre Partner ab und werden dadurch weiß – daher der Begriff „Korallenbleiche“. Eine anhaltende Bleiche würde die Nesseltiere verhungern lassen.

Malaysias Korallenriffe wurden bereits von mehreren Bleichphasen heimgesucht. Das dokumentiert das Global Coral Reef Monitoring Network. In den Jahren 1998, 2010 und 2016 kam es weltweit zu Massenbleichen, zwischen 2012 und 2020 zu örtlich begrenzten Ereignissen.

Zwar können sich Korallen wieder erholen, doch Wissenschaftler wie Tan und Affendi befürchten, dass sie der globalen Erhitzung trotzdem nicht standhalten können: Die häufigeren Bleichen lassen den Riffen weniger Zeit, sich zu erholen. In Malaysia zeigt sich das bereits heute. In einem Worst-Case-Szenario könnte Malaysia laut Affendi in den nächsten 30 Jahren 80 bis 90 Prozent seiner Korallen verlieren, wenn keine oder zu wenige Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern wie Tan warnt er, dass die Klimakrise die größte Bedrohung für Korallenriffe darstellt.

Die Abteilung für die Verwaltung von Meeresparks und Meeresressourcen der Regierung argumentiert anders. Izarenah Md Repin arbeitet in verschiedenen Meeresschutzgebieten im ganzen Land und behauptet – anders als im IPCC-Bericht dargelegt – dass lokale Einflüsse Korallen eher beeinträchtigen als die Klimakrise. Eine große Bedrohung sieht sie zum Beispiel in lokalen Bedrohungen wie ungeklärte Abwässer.

Korallen erholen sich oft nicht, wenn chemische Verschmutzung oder physische Zerstörung sie beschädigen, sagt Izarenah. Unter Berufung auf Daten von Reef Check Malaysia, das jährliche Riffe überwacht, erklärt sie, dass die Massenbleiche 2010 den durchschnittlichen Bestand an lebenden Korallen in Malaysia von fast 50 Prozent im Jahr 2009 auf 42,6 Prozent zwei Jahre später reduziert hat. Nachdem Izarenahs Abteilung Inseln sperren ließ, erholten sich die Korallen und ihr durchschnittlicher Bewuchs stieg 2013 wieder um rund vier Prozent.

Affendi stimmt zu:  Lokale Bedrohungen für Korallen müssten beseitigt werden, damit die Korallen leichter im wärmer werdenden Meer überleben. Dennoch fordert er drastischere Maßnahmen – etwa eine Regierungspolitik, die alle mit dem Meer verbundenen Branchen verpflichtet, zusammenzuarbeiten. Das könne die Auswirkungen der Klimakrise abmildern, sagt er. Für Affendi zeigt Izarenahs Argumentation, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich noch mehr bemühen müssen, um den IPCC-Bericht verständlich zu machen. Die Verantwortlichen in den Regierungen müssten außerdem die Bedrohung der Klimakrise wahrnehmen und handeln.

In den vergangenen Jahren haben sich in ganz Malaysia Programme für die Korallenaufzucht etabliert. Zahlreiche Tauchzentren und Ressorts betreiben sie und sehen sie als Teil ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Dort werden Korallen in speziellen Aufzuchtstationen gepflanzt und aufgezogen. Selten aber leiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Programme. Die technischen Ressourcen sind oft begrenzt, die Verfahren sind zu kurzfristig, sie werden zu wenig überwacht und die Regeln sind nicht einheitlich und klar. Zudem sind die Betreiberinnen und Betreiber der Stationen nicht dazu verpflichtet, ihre Ergebnisse zu dokumentieren.

Im Great Barrier Reef in Australien, Florida, USA und Palau laufen dagegen bereits wissenschaftlich begleitete Initiativen. Affendi arbeitet daran, auch in Malaysia Programme mit diesem Niveau an wissenschaftlicher Sorgfalt ins Leben zu rufen. Seit 2019 arbeiten er und sein wissenschaftliches Team am Projekt PULIH (Protecting Underwater Life through Integrated reHabilitation). ‚Pulih‘ ist auch das malaiische Wort für „Heilung“.

Mit Experimenten wollen sie herausfinden, welche Korallen welchen Alters sich am besten für die Neubepflanzung eignen und wie andere Lebewesen wie Seeigel das Wachsen der Korallen anregen können. In einer Studie untersuchen sie, ob schwimmende „Korallenbaum“-Aufzuchtanlagen besser funktionieren als herkömmlichen Aufzuchtanlagen auf dem Meeresboden. In einer weiteren Studie vergleichen sie, wie Korallen auf wärmeres Wasser reagieren, wenn ein schwarzes Netz, wie es auch in Gärten verwendet wird, sie gegen ultraviolette Strahlen abschirmt. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Schutz wirkt und die Korallen-Bleiche mindern kann.

Nicht nur sein Forschungsprojekt beschäftigt Affendi, er hegt auch eine Idee, wie man auf den drohenden Zusammenbruch der Korallenriffe reagieren könne: Jede Insel des Landes sollte eine „Arche“, einen geschützten Ort haben, um die vielfältigen Korallenarten Malaysias zu bewahren: „Wenn es uns gelingt, die Korallenrehabilitation und die Korallenaufzucht zu perfektionieren, könnten sie letztendlich auch Archen für uns Menschen sein.“

 

Der Originaltext wurde von Macaranga erstveröffentlicht. Diese Geschichte ist Teil von Asia’s Water Crisis, einem Gemeinschaftsprojekt von fünf Medienorganisationen, darunter Macaranga, das vom CommonWealth Magazine in Taiwan geleitet wird. Das Projekt untersucht, wie die Menschen auf dem gesamten Kontinent auf die Wasser- und Klimakrise reagieren.