Erst der IS, dann die Dürre

Über 80 Prozent der Fläche in Syrien und dem Irak sind auf Grund der Erderhitzung von Wüstenbildung bedroht. Schon heute leiden die Menschen vor Ort unter Wassermangel. Was könnte Abhilfe schaffen?

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Übersetzung & Adaption:
Clara Porák & Alicia Prager
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Fotografie:
Abdulaziz Ketaz/AFP/picturedesk.com
DATUM Ausgabe April 2022

Ein gutes Leben, ein bisschen Frieden: Darauf hoffte Fatima Khaled, als sie 2018 in ihre alte Heimat zurückkehrte. 2014 musste sie von hier fliehen, ihr Haus im Westen des Irak nahe der Stadt Ramadi verlassen. Sie fürchtete damals um ihr Leben, als die Terrormiliz IS die Kontrolle über das Gebiet übernahm. Doch nach ihrer Rückkehr erwartete sie eine neue Krise: Wasserknappheit.

Wie Khaled geht es vielen in der Region. Menschen, deren Leben bereits durch Kriege zerstört wurden, sind den Folgen der Klimakrise besonders ausgesetzt. Dazu zählen auch Bauern und Bäuerinnen, die in Subsistenzwirtschaft leben. Seit vielen Jahren warnt der Weltklimarat, der IPCC, die Erderhitzung ­erhöhe das Risiko für Krieg und be­waffnete Konflikte und stelle soziale Systeme auf eine harte Probe. Was das bedeutet, wird heute an vielen Orten der Welt sichtbar – so auch in Syrien und dem Irak.

Dort versuchte die Terrormiliz IS ab 2011 in einem brutalen Krieg die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Im Irak gelang es irakischen Streitkräften mit internationaler Unterstützung, den IS zurückzudrängen. Seit 2017 gilt der Irak zwar weiterhin als instabiler Staat, die Lage hat sich aber beruhigt. In Syrien kontrolliert der Diktator Baschar al-Assad den Großteil des Gebietes, er sieht sich als Sieger des Konflikts. Der IS ist weitgehend in der Defensive, der Konflikt jedoch nach wie vor aktuell. In Zukunft, warnen Experten, drohen neue Kriege. Ein Grund dafür: Das Wasser wird immer weniger.

Fatima Khaled hat im Krieg ihren Mann verloren. Nun ist sie alleine mit ihren Kindern, die alle drei ihre Hände bei einer Attacke des IS verloren haben. Ihr Hof steht noch. Doch leben wie früher kann sie hier nicht mehr. Das Land um sie wird nach und nach zur Wüste. Vor diesem Problem stehen viele: Im Irak sind rund ein Drittel der Iraker, die in ländlichen Gebieten leben, in der Landwirtschaft beschäftigt. Doch bis zu 90 Prozent der irakischen Fläche sind von Wüstenbildung bedroht, so die Planetary Security Initiative. Auch in Syrien geht immer mehr Anbaufläche verloren: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 80 Prozent des syrischen Bodens von Wüstenbildung betroffen.

Dass große Teile der Region langsam zur Wüste werden, hat mehrere Gründe, sagt Khaled Suleiman. Der Umweltjournalist ist Buchautor und Experte für Klimawandel. Die Böden sind in den letzten Jahren salziger geworden, denn die beiden Flüsse Tigris und Euphrat liefern weniger Wasser. Außerdem wachsen weniger Pflanzen, weil es heißer wird. Das verstärkt die Probleme weiter.

Der Irak ist eines der Länder, die weltweit am schlimmsten von Wassermangel betroffen sind. Laut dem ›Atlas of Water Risks‹ des World Resources Institute steht der Irak unter hohem Wasserstress. Und das Problem verschlimmert sich immer weiter: Allein von 2014 auf 2015 halbierte sich der Pro-Kopf-Anteil an Wasser von rund 9,5 Liter pro Tag zu vier Liter pro Tag, so der Bericht des irakischen Entwicklungsplans.

Bis 1970 war das ganz anders. Dank des Zuflusses durch Euphrat und Tigris war die Wassersituation im Land einigermaßen stabil. Danach verlor das Land jedoch rund 40 Prozent seiner Wassermenge. Schuld daran ist nicht nur der Klimawandel: Seit den 1970ern zapfen die Türkei und der Iran Wasser beider Flüsse ab und unterbrechen damit den Wasserfluss in den Irak. Mehrere Staudämme haben den Flusslauf verändert.

Das nutzt die Türkei nicht nur, um den Eigenverbrauch zu decken: Immer wieder setzte sie das Wasser als Waffe ein, mit der sie großen Druck auf den Irak ausüben kann. Auch heute kommt in Syrien und im Irak immer weniger Wasser an: 2019 flossen 31,29 Milliarden Kubikmeter Wasser durch den Tigris dorthin, 2020 waren es nur noch 11,44 Milliarden Kubikmeter – rund ein Drittel der Menge des Vorjahres.

Fatima Khaled ist eine derjenigen, die spüren, was das bedeutet. Mit dem, was ihr Land hergibt, kann sie ihre Kinder nicht ernähren. Pflanzen, die sie anbauen möchte, verdorren, das Vieh stirbt ihr vor den Augen weg. Der Salzgehalt im Wasser ist so hoch, dass die Tiere verdursten – auch wenn sie zu trinken haben. Khaled ist auf die Hilfe von Nachbarn und Freunden angewiesen, die ihr und ihren Kindern zu essen geben.

›Alles, was wir anpflanzen, stirbt‹, sagt auch Muheeb Ahmed. Ahmed lebt nahe von Basra, einer Stadt im südlichen Irak, 600 Kilometer entfernt von Fatima Khaleds Hof. Doch seine Probleme sind dieselben. Noch vor wenigen Jahren lebte er als Bauer, die Landwirtschaft und ihre Erträge waren es, die seine Familie ernährten. Jetzt wächst nichts mehr auf seinem Land, die Tiere finden kein Futter mehr. In den letzten Jahren hat es sich in eine völlig unfruchtbare Wüste verwandelt.

52 Grad hatte es am heißesten Tag des vergangenen Jahres in Bagdad, der Hauptstadt des Irak. Das ist einer der höchsten Werte, die je gemessen wurden. Zwischen 1970 und 2004 ist die durchschnittliche Jahrestemperatur um ein bis zwei Grad Celsius gestiegen. Durch die immer höheren Temperaturen steigt auch die Verdunstung und das Wasser wird immer knapper. Wissenschaftler sagen voraus, dass die Niederschläge im Irak bis 2050 um ein Viertel zurückgehen werden, was die Wüstenbildung und die Wasserknappheit verschlimmern wird. Jene, die von der Land- oder Viehwirtschaft leben, trifft die Wüstenbildung zuerst. Sie verlieren ihre Lebensgrundlagen, sagt Experte Suleiman.

Schon jetzt verkaufen Hirten und Bauern oft ihre Tiere und ziehen in die Städte. So wie Ahmed. Er ist auf der Suche nach einer Arbeit, die seine Familie ernähren kann und hofft, sich so ein neues Leben aufzubauen.

Eine Situation, die schnell eskaliert: Der hohe Wasserverbrauch der einen und die Wüstenbildung, die die anderen hart trifft, schüren Unruhen unter den Stämmen im Süden des Iraks. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen wurden im Jahr 2019 in den südlichen und zentralen Provinzen des Irak mehr als 21.300 Menschen auf Grund von Trinkwassermangel innerhalb des Iraks vertrieben. Die Dürre ist bereits eine wichtige Ursache für lokale Konflikte: Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden 2013 allein in Bagdad an 38 Orten praktisch täglich Kämpfe oder verbale Auseinandersetzungen dokumentiert. In Zukunft wird sich dieser Trend wohl verstärken.

Auch im benachbarten Syrien fehlt das Wasser. Seine Familie habe nicht genug zu essen, sagt Abdul Baqi. Der Bauer lebt im Nordosten Syriens, in einem Gebiet, das unter der Kontrolle der kurdischen Verwaltung steht. Er und seine Familie bauen Weizen an. In den vergangenen Jahren lebte seine Familie vom Verkauf der Ernte, doch in diesem Jahr ist sie wegen der Dürre und des Mangels an Bewässerung ausgefallen. Er weiß nicht, woher er das Essen für seine Kinder nehmen soll.

Abdul Baqis Schicksal ist kein Einzelfall, denn nach Angaben des syrischen Ministeriums für Landwirtschaft und Reformen ist die Weizenproduktion im Land auf 900.000 Tonnen zurückgegangen. Gebraucht werden eigentlich zwei Millionen Tonnen. Die Menschen haben nicht genug zu essen, sagt Riad Qara Falah, Professor für Geografie an der Tishreen-Universität in Syrien. Von der Wüstenbildung ist vor allem der Weizenanbau betroffen, sagt er. Neun Sorten sind bereits ausgestorben. Große Anbauprodukte wie Weizen und Gerste werden vor allem in den ländlichen Gebieten von Aleppo, Daraa, Hasaka und Deir el-Zor angebaut.

Der Krieg, der seit über zehn Jahren in der Region geführt wird und bereits viele tausend Menschenleben gekostet hat, hat riesige, fruchtbare Flächen unfruchtbar gemacht: Wälder und ganze Ökosysteme sind verschwunden, erklärt Wissenschaftler Riad Falah. Angreifer verbrannten große Felder, verbrannten oder holzten große Wälder ab. Ende letzten Jahres brachen dann auch noch riesige Waldbrände aus – die schlimmsten in der Geschichte Syriens. Über zwei Millionen Bäume gingen verloren – die Verwüstung der Region schreitet so noch schneller voran.

Mehr als eine Million Menschen, von denen die meisten Hirten und Kleinbauern sind, leiden schon jetzt unter der Dürre. Nach Angaben der UNO haben über 59.000 Hirten den Großteil ihrer Herden verloren, während 47.000 Bauern 50 bis 60 Prozent ihrer Tiere verloren haben. Vor allem in der Erntesaison 2018-2019 fehlte es an Regen, viele Bauern verloren die Lebensgrundlage. Sie gaben ihre Höfe auf und zogen in die Städte.

Die Menschen haben Hunger, keine Arbeit. Die Klimakrise treibt immer mehr in die Städte. Der Druck auf soziale Systeme wächst. Gerade in instabilen Ländern wie dem Irak und Syrien ist diese Herausforderung kaum zu bewältigen. Es ist ein Teufelskreis: Krieg führt dazu, dass die negativen Folgen der Klimakrise noch stärker wirken. Diese machen Ungerechtigkeiten noch sichtbarer, strapazieren das Zusammenleben und treiben wiederum den Ausbruch von bewaffneten Konflikten voran.

Droht in der Region bald ein neuer, eskalierender Krieg, befeuert durch den Wassermangel und die Wüstenbildung? Der irakische Experte Suleiman glaubt, dass das nicht sein muss, dass es Lösungen gibt. Es brauche eine moderne Umweltpolitik, gerade in Regionen, die von Krieg betroffen sind. Wasser müsse fairer verteilt werden, Gebiete, die zerstört oder von Verwüstung betroffen sind, aufgeforstet werden. Der Umgang mit dem Wasser in der Region brauche modernere Methoden und man müsse die Türkei und den Iran zu einer fairen gemeinsamen Nutzung von Euphrat und Tigris bewegen. Dann, sagt Suleiman, könne man den Teufelskreis durchbrechen.

Ob diese Lösungen umgesetzt werden, ob sie bald Menschen wie Fatima Khaled zu Gute kommen, wird sich zeigen. Vorerst bleibt ihre Hoffnung auf ein friedliches Leben, eine gute Zukunft für ihre Kinder nichts als das: ein Traum. Dieses Mal nicht wegen eines Kriegs, sondern weil ihre Lebensgrundlagen verschwinden. •