Alles für den Traktor

Seit hundert Jahren ist er der wichtigste Helfer der Bauern. Die Mechanisierung hat jedoch auch unerwünschte Nebenwirkungen für unsere Ökosysteme.

DATUM Ausgabe Dezember 2023/Jänner 2024

Der erste Traktor war für mich ein wahres Wunder‹, sagt Hermann Karlhammer. Der 84-Jährige sitzt in seiner Küche im alten Bauernhaus, das schon seit über hundert Jahren steht. Hier in Kärnten, nicht weit von der Burg Hochosterwitz, im Ort Mairist. Als Kind und Jugendlicher schwitzte er im Sommer am Feld, schleppte Heu, molk die Milchkühe mit der Hand. Später halfen die Pferde aus und zogen die ersten Hilfsgeräte, er ging nebenher mit. Noch immer harte Arbeit, wenig Pausen, und stets waren viele ›Knecht’‹ und ›Dirndln‹ am Hof. Die Mechanisierung der Landwirtschaft war damals bereits in vollem Gange. Vor rund 70 Jahren, um 1953, war es dann soweit: Der Traktor rollte in Hermann Karlhammers Leben. ›Ein Porsche war’s‹, erinnert sich Karlhammer an den Traktor, den sein Vater kaufte. Und der alles veränderte. 

 Als Karlhammer Jahre später seinen ersten eigenen Traktor kaufte, war er froh, die richtige Marke gewählt zu haben – die mit federndem Sitz. Denn anstatt sich immer wieder zu bücken, hinzuknien, aufzustehen, Unkraut zu jäten, Heu- oder Strohbündel auf den Schultern zu tragen, verbrachte er mit den Jahren immer mehr Stunden des Tages damit, am Traktor zu sitzen. ›Einige Nachbarn haben sich das Kreuz kaputt gemacht, weil der Sitz nicht abfederte‹, erinnert sich der 84-Jährige. Damals habe gegolten: Je größer und neuer der Traktor, desto reicher, erfolgreicher, moderner der Bauer. Die Maschinen wurden größer, schwerer, die Geräte immer vielseitiger. Bis zu zwölf Meter breit spritzt heute das Sprühgerät den Pflanzenschutz auf die Pflanzen, um das Unkraut zu bekämpfen. Der moderne Mähdrescher drischt und erntet bis zu hundert Tonnen Getreide pro Stunde, werben Traktorhersteller. Und er ersetzt die Arbeit von 1.500 Menschen, sagen Landtechnik-Experten. Der Traktor ist schwer wegzudenken aus unserer Landschaft, aus Kinderbüchern, aus Malbüchern oder Spielzeugregalen. Er steht stramm und stark als Symbol für die industrialisierte, produktive Landwirtschaft, die viele Menschen auf der Erde ernährt. Doch das Rollen der immer schwereren Geräte und angehängten Maschinen über die Ackerflächen hat Konsequenzen. Sie verbrauchen fossile Energie, machen es möglich, dass Betriebe stetig wachsen. Mithilfe der großen Traktoren lenkten sie ihren Fokus immer mehr auf größere Erträge, wandten sich ab vom Fokus auf die Gesundheit von Pflanzen, Boden und Umwelt. Das betrifft auch die Betriebe, die sich dieser Logik entziehen wollen – irgendwo braucht es dann doch immer einen Traktor. 

 In den letzten 70 Jahren kaufte Karlhammer sich mehrere Traktoren. Gebraucht waren sie aber immer: ›Hab mir immer einen guten Preis verhandelt‹, sagt er stolz. Vor zwei Jahren hat sein Enkel den Hof übernommen, und damit wurde der Hof zum Nebenerwerbsbetrieb. ›Um im Vollerwerb zu bleiben, müsste der Betrieb wachsen, man müsste viel investieren‹, sagt Karlhammer und nickt seinem Enkel Max zu, der kurz bei der Tür hereinkommt. So wie Karlhammer den Hof führte – mit seinen rund 20 Milchkühen, den 40 jungen Rindern fürs Fleisch und dem Getreideanbau – kam er in den Jahren vor der Pension gerade so über die Runden. Für seinen Enkel geht sich das nicht mehr aus. Für mehr Sicherheit ist er daher nebenbei bei einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb angestellt. 

Ohne den Job müsste er, wie viele andere Familienbetriebe, wohl Kredite aufnehmen, in den Betrieb investieren, um langfristig finanzielle Sicherheit zu haben. Oder die Landwirtschaft ganz aufgeben. Der Druck zu wachsen trifft alle Landwirte: Die aktuelle Agrarstrukturerhebung von 2020 zeigt, dass die landwirtschaftlich genutzten Flächen Österreichs gleich groß bleiben, aber weniger und dafür größere Betriebe sie bewirtschaften. Die durchschnittlich landwirtschaftlich genutzte Fläche, wie Ackerland, Grünland oder Garten, stieg zwischen 2010 und 2020 von 18,8 auf 23,6 Hektar. Wenn der Betrieb der Karlhammers von einem Nachbarn übernommen würde, wäre das ziemlich ­typisch für die österreichische Landwirtschaft. 

Heinrich Prankl ist Leiter für Forschung und Innovation an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt Francisco Josephinum Wieselburg, Landtechnik ist sein Schwerpunkt. In seiner Arbeit begegnet er vielen solcher Geschichten: ›Wenn die Nachkommen den Betrieb nicht übernehmen wollen, dann kauft ihn ein Nachbar und vergrößert den eigenen Betrieb.‹ Und große Betriebe brauchen große Traktoren. ›Es ist das Recht von jedem, mit derselben Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen oder Kosten einzusparen‹, sagt Prankl. 

Doch der Traktor, die Mechanisierung, spart nicht nur Kosten, sondern schafft auch welche. Mit den größeren Durchschnittsflächen und der Aussicht auf mehr Ertrag wurden auch die Traktoren größer und schwerer. Die Reifen aber wuchsen zu wenig mit. Auch weil die Traktoren dann extrem breit wären und zum Beispiel auf Straßen viel mehr Platz verbrauchen würden. ›Dadurch wird der Boden niedergepresst. Und das ist ein Problem‹, sagt Prankl. Er verdichtet sich, wird weniger durchlüftet. Lebewesen und Wurzeln, die eigentlich den Boden fruchtbar machen, haben keinen Platz mehr. Die Verantwortung, nur bodenfreundlichere Geräte zu bauen, sieht Prankl nicht bei den Herstellern: ›Die produzieren das, was der Kunde gerne möchte.‹

›Es sind Nachteile für unsere Ökosysteme und soziale Kosten, über die sich die industrielle Landwirtschaft oft hinwegsetzt‹, sagt Fridolin Krausmann vom Institut für soziale Ökologie an der BOKU. Agrochemie, also Düngemittel und Pflanzenschutzmittel, sowie moderne Züchtungsmethoden gehörten ebenso zur Technisierung der Landwirtschaft wie die Mechanisierung, sagt er. Landwirtschaftliche Familienbetriebe wurden dadurch abhängiger von Konzernen, von denen sie Saatgut oder Pflanzenschutzmittel in großen Mengen kaufen, oder von Banken, bei denen sie Kredite aufnehmen, um zu wachsen, meint Krausmann. Unter diesen Umständen wollen die nächsten Generationen den Hof oft nicht übernehmen. ›Dass wir heute nur noch 150.000 Betriebe haben und nicht mehr 450.000 wie 1951, das war ja ein schmerzvoller Prozess‹, sagt Krausmann. 

So hat die Landwirtschaft ihre Erträge zwar massiv gesteigert, doch das war mit hohem Energieaufwand verbunden. Vor allem von fossiler Energie. Früher nutzte die Landwirtschaft menschliche und tierische Arbeitskraft. Gesunde Ökosysteme hielten den Boden fruchtbar und leisteten so auch Arbeit. Mit der Mechanisierung wurde das zum Großteil durch Technologien, angetrieben mit fossiler Energie, ersetzt. ›Insgesamt haben Technisierung und Produktionssteigerung dazu beigetragen, dass der Sektor Landwirtschaft heute wesentlich zum Klimawandel beiträgt‹, sagt Krausmann. Laut Umweltbundesamt ist die Landwirtschaft für etwa elf Prozent der direkten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Methanemissionen aus der Rinderhaltung haben daran den größten Anteil. 

Heinrich Prankl glaubt daran, dass es wieder die Technologie ist, die das ändern und die Landwirtschaft ökologischer machen kann. Er beschäftigt sich mit Innovation in der Landtechnik und erzählt von Drohnen, die von oben das Unkraut erspähen oder Kameras und Sensoren an der Maschine, die Unkraut erkennen und so das Glyphosat direkt auf die Unkrautpflanze spritzen können, anstatt das ganze Feld zu besprühen. Selbstfahrende Traktoren seien fixer Bestandteil der Zukunft, sagt er. Landwirtschaft 4.0 nennen die Fachleute das. Und überhaupt: Moderne Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz, also gänzlich biologisch, das sei schwierig. Der Ertrag sei einfach zu gering. 

Doch Krausmann gibt zu bedenken: ›Zwar können wir heute aufgrund der Technisierung der Landwirtschaft global viel mehr Menschen ernähren als noch in den 1960ern, aber das Hungerproblem wurde dadurch dennoch nicht gelöst.‹ Das sei letztlich ein Verteilungsproblem, das Technologie alleine nicht lösen könne. Wenn es um die Zukunft geht, findet man in der Landwirtschaft ähnliche Debatten wie anderswo: Technologie als Retter aus der Krise? Oder muss doch ein radikaler Systemwandel her? ›Ökologische Modernisierung des Systems, das wir haben, versus Degrowth, wenn man so will‹, fasst Krausmann zusammen. 

Wolfgang Palme ist für einen grundlegenden Systemwandel. Er forscht an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau und Österreichische Bundesgärten in Wien zu ökologischem Gemüsebau und ist Gründer der Cityfarm in Wien. Ein Projekt, das vor allem Stadtbewohner wieder näher an die Entstehung von Lebensmitteln bringen soll. ›Der Traktor ist der Maßstab, der Meilenstein der Landwirtschaft. Nicht die Pflanze, nicht der Mensch oder der Boden. Und das spricht Bände‹, sagt er. Wenn die Landwirtschaft nicht länger Böden und Ökosysteme ausbeuten soll, muss sie sich grundlegend ändern, sagt er. Für ihn bedeutet das unter anderem: weniger Fleischproduktion und dass Gemüse die ›Tellermitte erobert‹, mehr Verbindung zwischen den Erzeugern und Konsumenten. Und: Mehr Menschen zurück in die Landwirtschaft. ›Je weniger Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, desto fortschrittlicher und moderner sehen wir unsere Gesellschaft. Warum eigentlich?‹, fragt er sich. 

›Viel Freiheit und Glücksmomente habe ich gespürt, darf jeden Tag meine Hosen dreckig machen‹, erzählt Sarah Schmolmüller. Auch darum hat sie nach Nebenjobs im Gemüsebau während des Studiums selbst eine Marktgärtnerei gegründet. Zu zweit mit ihrer Kollegin Bianca Rabel nennen sie sich ›dirndln am feld‹ und bauen Gemüse und Obst in Kirchberg am Wagram, Niederösterreich, an. So ziemlich alles machen sie anders als die Karlhammers, aber wollen im Grunde das Gleiche: Menschen ernähren. Nur steht bei Schmolmüller Gemüse und Obst im Zentrum. Sie kümmert sich nicht um großflächigen Getreideanbau für Tierfutter oder Milchproduktion. Nur die Pflanzen und die Humusschicht sollen hier stetig wachsen, nicht aber der Betrieb. 

Sobald man eine Größe gefunden hat, mit der Menschen, die mitarbeiten, gut leben können, bleibt man als Marktgärtnerei dabei. 1,5 bis drei Hektar groß sind die Flächen meist. Was sie noch mit den Karlhammers gemeinsam haben: den Traktor. Ein kleiner, noch ohne Sitzkabine, steht in einem Unterstand. Einmal im Jahr fährt er über die Flächen. Und ein Nachbar hat für die ›dirndln am feld‹ ein Gerät per Hand angefertigt, das die Erde lockert. Also doch Traktor und Pflug? ›Nein, auf keinen Fall wollen wir die Erde so komplett umdrehen und durcheinanderbringen, wie ein Pflug das macht. Unser Gerät gräbt weniger tief‹, sagt sie und vergleicht den Boden mit einem Haus, in dem viele Lebewesen wohnen. Der Pflug bringe immer wieder ein schweres Erdbeben. Der Boden sei ständig beschäftigt, sich wieder aufzubauen. ›Es ist extrem wichtig, dem Boden Ruhe zu geben, damit dort auch einfach Leben passieren kann‹, erklärt Schmolmüller. Mit Pflanzenschutzmittel nachhelfen, wenn zu viel Unkraut wächst, kommt nicht in Frage. Das Unkraut wird mit der Hand und kleineren Handwerkzeugen entfernt. Die Energie für die Geräte kommt von den zwei Frauen und zwei weiteren Mitarbeitern, die geringfügig angestellt sind. 

Mittlerweile verkaufen sie an 14 Restaurants in Wien und am Marktstand in Kirchberg. Rund 61 verschiedene Kulturen gedeihen hier übers Jahr verteilt. Ziel der Marktgärtnereien ist es, biointensiv zu wirtschaften. Also auf kleiner Fläche so viel wie möglich anzubauen, aber biologisch, ohne den Boden auszubeuten und ohne übermäßig Ressourcen zu verbrauchen. 

Könnte man mit Marktgärtnereien alle ernähren? ›Das weiß ich nicht. Aber ich muss auch nicht die Massen überzeugen‹, sagt sie. Ob es möglich wäre? Es wurde bisher noch nie versucht. An Markt in Kirchberg am Wagram gibt es jedenfalls gar keine andere Möglichkeit mehr, Gemüse zu kaufen, als das von den ›dirndln am feld‹. Sie haben den alten Gemüsebauer der Gemeinde an seinem Marktstand abgelöst, seit er in Pension ist. Wie Hermann Karlhammer. Als der heute hört, wie sein Enkel im Dunkeln vom Feld mit dem Traktor heimkommt, murmelt er in sich hinein: ›Früher war, wenn’s dunkel ist, Schluss mit der Arbeit. Mit dem Traktor kannst ewig allein am Feld weiterarbeiten.‹ •